Eczko, Marion (1938-2021)

Diplom-Formgestalterin

1938 Magdeburg geboren

1957 Abitur

1958-1962 Studium an der Hochschule für Kunst

und Design Burg Giebichenstein, Halle,

Diplom- Formgestalterin

seit 1971 Verband Bildender Künstler

Design-Preis der DDR

seit 1990 freiberufliche Tätigkeit für die

Textilindustrie, Malerei Grafik

Marion Eczko starb am 16. Dezember 2021 in Adelsberg


Arbeitsbereiche:

Textildesign, Handsiebdruck, Malerei, Grafik

Ausstellungsbeteiligungen:

Reichenbach, Plauen, Chemnitz, Dresden, Leipzig, Weimar,




Bilder und Texte: Zeitgenössische Kunst aus dem Vogtland / 1999 / Sparkasse Vogtland / 1.Auflage

Wir haben uns bemüht alle Rechteinhaber ausfindig zu machen. Sollten trotz sorgfältiger Nachforschungen berechtigte Ansprüche weiterer Rechteinhaber bestehen, wird um Kontaktaufnahme gebeten.


(Im nächtlichen Hof des Vogels erschrocken Flügelschlag)

Detlef Manfred Müller

 

In

M e m o r i a m

MARION ECZKO

8. Dezember 1938 in Magdeburg –

10. Dezember 2021 in Adelsberg-Chemnitz

 

Adelsberg am 18. Februar 2022

 

Liebe Familie E C Z K O,

liebe Huyen,

lieber Alexander,

liebe Freunde,

verehrte Gäste!

 

Nach nur wenigen, e n t s e t z l i c h wenigen Monaten stehe

ich erneut hier, um W o r t e für Verlust und Trauer zu finden.

Um von einem Menschen-Leben zu sprechen, eines Menschen zu gedenken, den wir geschätzt haben, dessen Freundschaft und Wärme wir genießen durften.

M a r i o n ist Horst nach kaum einem halben Jahr schon g e f o l g t.

Dergleichen geschieht wohl n i c h t rein zufällig. Man ist also schon versucht von Symbiosen zu sprechen.

Und e s ist wohl a u c h so: D e r Eine ist r e c h t e i g e n t l i c h ohne d i e Andere nicht zu denken.

A u c h, wenn u n s Horst dies n i c h t geglaubt hätte.

Nun aber möchte uns das Schicksal glauben machen, das dies alles zu Ende wäre. Und ein wenig kommt es mir schon so vor, als hätte sich eine I n s t i t u t i o n aufgelöst.

Als ginge eine Ära zu Ende, denn die Beiden waren

schon w e r:

in Lengenfeld,

im Zentralen Musterbüro,

im Verband bildender Künstler,

als Textildesigner und freie Künstler

als Kollegen und Freunde, als Menschen,

schon so etwas, wie p r o m i n e n t!

Haus und Atelier, Garten und Anwesen stehen nun kahl und winterlich verweist und ich bin versucht den großen Friedrich Hölderlin zu zitieren:

„Die Mauern stehn sprachlos und kalt,

im Winde klirren die Fahnen.“

Als ich vor zwei Wochen für Stunden wieder in Lengenfeld sein durfte, war es mir kaum vorstellbar, nun ohne Wiederkehr von all dem Abschied zu nehmen zu müssen.

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Blicken wir zunächst auf den Anfang:

A l s Marion Sommer im Dezember 1938 in Magdeburg geboren wird, ist dieses

furchtbare d r i t t e R e i c h d e r D e u t s c h e n schon auf dem Tiefpunkt angelangt. Sie wissen es nur noch nicht, die Millionen!

G e r a d e ist die irrsinnige Reichspogromnacht über das Land hinweggefegt – und h ä t t e eigentlich mit allen Illusionen aufgeräumt h a b e n müssen.

E i g e n t l i c h, denn das, was wir heute wissen, bleibt für die meisten noch lange Jahre völlig undenkbar.

Marions Vater ist zu jener Zeit bei Krupp, im rüstungsrelevanten Magdeburger Schwermaschinenbau tätig. Er begleitet dort v o r und i m Krieg technische Schlüsselpositionen und steigt auch nach 1945 weiter auf.

Vor dem um 1943 systematisch einsetzenden englisch-amerikanischen Bomberhagel flieht die Mutter mit Marion und Schwester Doris zur Verwandtschaft nach Landsberg an der Warthe.

Als sich dann die Rote Armee im Januar 1945 dem L e b u s e r L a n d genannten Landstrich gefährlich nähert, gelingt es dem Vater die Familie in das nun allerdings von mehr als dreißig Angriffen zerstörte Magdeburg zurückzuholen.

Hier sind Töchter und Frau sicherer als v o r oder etwa h i n t e r der russischen Front.

Nur zu offensichtlich sind dabei die Parallelen zur m a s u r i s c h e n Familie

E c z k o.

Marions Kinderjahre kennen gleichermaßen p r ä g e n d e Erfahrungen aus dem schlimmsten Krieg, den Europa, die Welt bislang gesehen hatte. Erfahrungen, die durch ein ganzes Leben fortwirken.

Für den achtjährigen Horst ist es der Tod des Vaters, die Zerrüttung des großen Familienverbandes, der Untergang der väterlichen Firma und der Verlust idyllischen Anwesens mitsamt dem großen Sonntagsee.

Für die siebenjährige Marion das brutale Geschehen des Luftkriegs und die fast völlige Zerstörung der großen Stadt Magdeburg.

Unterschwellige Wunden, die ein ganzes Leben begleiten.

Marion hat mir, i h r Erleben in das w e i t a u s g r e i f e n d e Erzählen von Horst einflechtend, mehrfach davon berichtet.

Vater S o m m e r schafft es demnach seine Familie vor den kommenden Not- und Hungerjahren zu bewahren und eine solche, noch den schlimmsten Krieg überdauernde familiäre Zuflucht, hatte Marion ihrem Horst immer voraus.

P r i v i l e g i e n, die sie mit mehr Sicherheit ins Leben gehen ließen und besserstellten, als den vaterlosen ostpreußischen Flüchtling im kleinen Reichenbach.

Folgerichtig besuchen Marion und ihre Schwester in Magdeburg die Oberschule, dann studiert Doris Psychologie und Marion kann nach dem Abitur im Jahre 1957 an der Hochschule für angewandte Kunst und Formgestaltung in Halle beginnen.

Es fügt sich, dass in diesen Jahren der später so prominente Künstler und DDR-Spitzenfunktionär, der Maler und Graphiker Professor Willi S i t t e, die Klasse der T e x t i l g e s t a l t e r unterrichtet und damit auch Marions Lehrer wird.

Dem H a l l e jener Jahre wird auch eine durchaus eigenwillige intellektuelle Szene attestiert. Sitte ist seinerzeit mit Wolf Biermann und der Schauspielerin Eva-Maria Hagen, der Schriftstellerin Christa Wolf und mit dem L y r i k e r e h e p a a r Sarah und Rainer Kirsch befreundet. Künstlerisch wie kulturpolitisch ist der hochbegabte A u t o d i d a k t Sitte dabei d u r c h a u s nicht so linientreu, wie wir ihn heute sehen wollen. Und dafür wird der Maler in offensichtlich inszenierten öffentlichen Debatten auch angefeindet. Billige Stereotype sind:

„Wo ist denn hier die Arbeiterklasse“ … „Verstehen das auch u n s e r e Menschen“

Bis 1962 kann Marion in solch spannendem Kontext studieren, gewinnt dabei die eindrucksvolle Weltläufigkeit und Ausstrahlung, die wir an ihr gekannt haben.

Dann wird die junge Diplom-Formgestalterin via Absolventenvermittlung an das Zentrale Musterbüro des Kombinates Baumwolle (kurz: ZMB) nach Lengenfeld im Vogtland verpflichtet.

W a s mag Marion dabei bewegt haben und w a s mag sie wohl verführt haben, auch für immer d o r t zu bleiben?

Ich habe sie nie direkt gefragt, kann mir aber vorstellen, dass die nahezu unzerstört gebliebene Kleinstadt, im Vergleich zu Magdeburg und Halle, intakte Überschaubarkeit geboten hat.

Das zum einen.

Zum anderen natürlich, lernt sie hier den um ein Jahr älteren Entwerfer

Horst E C Z K O kennen und erliegt wohl dessen unverbrauchtem Charme.

A l l e r d i n g s: Horst ist noch im nahen Reichenbach verheiratet und hat dort schon einen Sohn. E r muss insofern eine Scheidung hinter sich bringen und das ist in den frühen S e c h z i g e r n noch ziemlich modern.

Außerdem absolviert Horst gerade ein berufsbegleitendes Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg.

Für den Anfang können wir also davon ausgehen, dass die beiden in Marions Zimmer zur Untermiete in Lengenfeld wohnten.

Doch dann gelingt es dem durchaus extravagantem v o g t l ä n d i s c h e n Liebespaar eine komfortable Neubauwohnung zu beziehen.

Die hat natürlich den bekannt-stereotypen Grundriss: schmale Küche & schmales Bad, mäßig großer Wohn & relativ kleiner Schlafraum. Und natürlich ist eine solche planwirtschaftliche Zuteilung auch i m m e r am realen Bedarf vorbeikonzipiert.

A l s o wird es nach der Ankunft von A l e x a n d e r eng im N e u b a u, denn auch das nebenberufliche Schaffen des begabten des Gestalterehepaares war immer umfangreicher geworden.

E r i n n e r n wir uns:

Das G ö l t z s c h t a l, das V o g t l a n d und Sachsen überhaupt ist seinerzeit mit einer Fülle von Textilbetrieben übersäht. Die verdanken ihre Existenz der industriellen Revolution des 19. und des frühen 20. Jh. Nach 1945 hat es dann, bei weitgehender Kontinuität in den industriellen Strukturen, eine völlige Umschichtung der faktisch-rechtlichen Eigentumsverhältnisse gegeben. Wie in der Sowjetischen Besatzungszone ja generell.

Dennoch werden hier bald wieder große Menge an textilen Fläche produziert und das generiert einen erheblichen Bedarf an Entwerfern

In Lengenfeld konzentriert sich deshalb s ab den sechziger Jahren spätesten eine regelrechte G e s t a l t e r e t h n i e.

Nicht zuletzt aber haben die großen Textilbetriebe auch einen enormen Bedarf an werktätiger Bevölkerung, um im Slang der Zeit zu bleiben.

Dazu kommt das nahe Reichenbach mit der Ingenieurschule und die ab Mitte der siebziger Jahre dort integrierte Ausbildung von

I n d u s t r i e d e s i g n e r n.

Denkt man sich nun noch Zwickau und Plauen hinzu, konfigurierte sich das südwestsächsische Industriedreieck.

Ich referiere dies hier so ausführlich, um Marions

L e b e n s e n t s c h e i d u n g mit etwas Hintergrund zu versehen.

Die Gegend war also nicht völlig ungeeignet, um dort zu leben, ein Kind zu bekommen, ein Haus zu bauen und Freunde zu haben.

Zugleich war dies aber auch eine Welt im W i n d s c h a t t e n, im Schatten der Weltgeschichte, eine Welt, in der die Zeit alsbald stillstand und die Verhältnisse für die Ewigkeit zementiert schienen. Ein b i e d e r m e i e r l i c h e s Refugium mitsamt der Vorliebe für die Möbel dieser Stilperiode. Eine scheinbar heile Welt nach all der Zerstörung, die die Kindheit gesehen hatte.

Dazu fällt mir dabei das schöne Lengenfelder I n t e r i e u r der Familie ECZKO ein: Ein moosgrünes Sofa aus dem dritten Rokoko, das abgebeizte und dennoch regelrecht a l t e r s g r a u wirkende Zylinderbüro, die Luis-Philipp-Möbel: Halbschrank, Sekretär und Tisch, dazu seltene Keramik und hohe altväterische Stühle. Vor allem denke ich aber an die großartige Kunst seiner Bewohner.

Kunst in der Nische & „Kultur im Heim“.

Die wirtschaftliche Grundlage für solch behäbigem DDR-Wohlstand mit Auto und Eigenheim bildet jene schon angedeutete Menge freier Arbeiten die ü b e r das eigentliche Anstellungsverhältnis hinaus entstehen.

Der dafür notwendige rechtliche Rahmen ist der Verband Bildender Künstler, dem Marion noch vor Horst, schon seit 1971 angehört. Die Sektion Formgestaltung ist dabei weniger mit dem Auftragswesen beschäftigt, von dem die Menge der b i l d e n d e n Künstler faktisch existiert.

Viel mehr lizensiert der Berufsverband solchermaßen die f r e i s c h a f f e n d e Arbeit der Industrieform- & Flächengestalter und der vielen, die ins Kunsthandwerker abgewandert sind.

Um die zusehends eklatanten Defizite der Industrie ein wenig zu kompensieren, wird in den Siebzigern der Kunsthandel der DDR als offizielle Plattform für Kauf und Verkauf von Kunst zu geschaffen. Auch Kunsthandwerk und Design, erleben solchermaßen eine postindustrielle Blüte, die ziemlich einzigartig ist und durchaus den dürftigen materiellen Raum ein Stück weit öffnet.

Dem Ehepaar ECZKO wird es in der Folge wirtschaftlich so möglich einen Eigenheimtyp mit diversen anspruchsvollen gestalterischen Abwandlungen zu realisieren. Für die Verhältnisse der straff kollektivierten DDR entsteht damit ein komfortabler p r i v a t e r Raum, der künstlerisches Arbeiten inspiriert und ein durchaus stilvolles Leben möglich macht.

Doch jener sich immer mehr beschleunigende Movens der kapitalistischen Moderne im ausgehenden 20. Jh. lässt sich auch im Windschatten der Mauer nicht ausblenden, befördert im hoch industrialisierten Mitteldeutschland vehemente Kritik an den mehr und mehr vormodernen Produktionsmitteln und dem eklatanten Mangel.

Folglich wird auch die biedermeierliche Nische brüchiger, wenn denn der Vorhang überhaupt je ohne Riss & Schlitz gewesen wäre.

Die Blase platzt und da Kunst nach Brot gehen muss, arbeiten die beiden Entwerfer nun für die anspruchsvolle oberfränkische Hightex-Manufaktur Rohleder.

Allerdings ist n u r Horst bei Klaus Rohleder angestellt. Doch ohne die begabte, sensible und fleißige Zeichnerin Marion, wäre diese kontinuierliche Leistung kaum über einen Zeitraum von 10 Jahren zu realisieren gewesen.

Kurz nach der Jahrtausendwende verabschieden sich Marion und Horst dann endgültig aus dem Erwerbsleben.

Es bleibt der L e n g e n f e l d e r Künstler-Haushalt. Horst will versorgt sein, das ist nicht ohne Aufwand und geht auch nicht ohne Konflikte ab. Marion wird für Horst immer unverzichtbarer, hilft seine diversen Ausstellungen vorbereiten und hängen, und übt sich ansonsten in Geduld.

Vielleicht etwas zu lang und ohne wirklich auf sich selbst Rücksicht zu nehmen.

Alexanders Familien entschädigen sie. Enkel kommen, erst einer und dann nochmals zwei charmante Burschen.

Dann kommt das Ende kommt abrupt, es ist nicht planbar, kommt immer falsch und ist extrem ungerecht. Im Juni 2021 verstirbt Horst nach kurzer Krankheit und Marion folgt im Dezember.

Ich gäbe heute etwas d a f ü r, nochmals mit Marion und Horst durch das nahe Erzgebirge zu fahren. Horst, der mir bei 50 Km/h regelmäßig bedeutete, ich solle doch noch v i e l langsamer fahren, l a n g s a m e r, damit er die Landschaft regelrecht in sich aufsaugen könne.

Marion sitzt dabei auf der Rückbank und lächelt freundlich.

Ich gäbe etwas d a f ü r, wenn ich mit den beiden noch einmal Tee trinken und dabei durch die kleinen Fenster i m Anbau des ECZKO-Hauses auf die L e n g e n f e l d e r Stadtkirche mit ihren Bleistiftturmspitzen sehen könnte.

Für M a r i o n:

Friedrich Hölderlin

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget

Und voll mit wilden Rosen

Das Land in den See,

Ihr holden Schwäne;

Und trunken von Küssen

Tunkt ihr das Haupt

Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn

Es Winter ist, die Blumen, und wo

Den Sonnenschein

Und Schatten der Erde?

Die Mauern stehn

Sprachlos und kalt, im Winde

Klirren die Fahnen.

(1804)

detlef manfred müller dipl.-designer (fh) kulturmananger (vwa) weststraße 20 08523 plauen